Dienstag, 26. Juni 2018

WM-Blog: 1001 Tore

Frauen, atmet auf! Bereits 36 von 64 Partien wurden an dieser Weltmeisterschaft absolviert. Mehr als die Hälfte. Sage und Schreibe 97 Tore (2,69 pro Spiel - so viel wie seit 1994 nicht mehr) schossen bisher Harry Kane, Ronaldo und Co. Ein Novum: noch kein Spiel ging 0-0 zu Ende.
 
Bizarre und groteske Resultate zogen sich in den letzten rund 10 Tagen durchs Band. Systemlos und willkürlich besiegten sich Mannschaften gegenseitig. So unberechenbar wie ein Treffen mit Ausserirdischen. Keine vermeintlich grosse Nation lieferte bis dato konstant starke Spiele ab.
 
Beispiele gefällig? Deutschland duselte sich in der Nachspielzeit gegen Schweden zum ersten Sieg an dieser WM. Ein Unentschieden hätte das Weiterkommen der Deutschen in die Hände von Mexiko gelegt und möglicherweise mein prophezeites Duell gegen die Schweiz vermasselt. Brasilien holte nur mit viel Krampf einen Sieg in der Nachspielzeit gegen Costa Rica.

Die Gruppe B wirkte auf dem Paper scheinbar eindeutig. Natürlich qualifizierten sich Spanien und Portugal für die K.O.-Phase. Was hast Du denn gedacht? Haha! Erst auf den zweiten Blick fällt die knappe Punkteaufteilung auf. Spanien und Portugal (5 Punkte), Iran (4) und Marokko (1). Die Nordafrikaner hätten mit mehr Wettkampfglück alle 3 Spiele gewinnen können. Zur unglücklichen Auftaktniederlage gegen Iran (Eigentor in der Nachspielzeit) gesellte sich ein Belagerungskampf mit grösseren Spielanteilen gegen Portugal, jedoch ohne Ertrag (0-1) und schliesslich verlor man gegen Spanien 2-2 (Ausgleich kurz vor Schluss) trotz besseren Chancen und Chancenplus.

Die Spanier irrten bisher wie kopflose Hühner umher. Die Trainerentlassung rund 48h vor dem ersten Kick-Off war eben doch keine märchenhafte Idee.

Auch der Iran spielte leidenschaftlich mit. Die knappe 0-1 Niederlage gegen Spanien war unnötig. Die Perser zeigten wie ihre antiken Krieger eine solidarische, herzhafte und mannschaftsdienliche Leistung. Grätschen, kämpfen, rennen, passen, Balleroberungen. Nur der Abschluss ging in die Hose. Mit viel Herzblut erkämpfte sich die Iraner viele Sympathien. Keine erbärmlichen Schauspieleinlagen, keine Mätzchen, sondern ehrlicher Fussball. Unschöner Ragefakt: Im Vorfeld der Weltmeisterschaft bekundeten die Iraner Mühe, Gegner für Vorbereitungsspiele zu finden. Aus politischen Gründen.
Gegen Portugal fehlte dann nur ein Törchen für die totale Überraschung. Die Szene in der Nachspielzeit, wo ein Stürmer den Siegestreffen auf dem Fuss hatte, wird ihn und seine Nachkommen in den nächsten 100 Jahre nachts heimsuchen. Auch im Iran selbst zeigten die Leistungen beachtliches: Frauen durften beim Public Viewing legal ins Fussballstadion, auf den Strassen wurde gesungen und getanzt. Aktionen, welche sonst strengstens verboten sind. Fussball ist eben mehr als nur ein Sport. Die soziale und gesellschaftliche Wirkung kennt keine Grenzen.

Und die Schweiz? Über den kontroversen Jubel haben sich schon alle Seiten in Medien und Social Media ausgekotzt. Viel beachtlicher ist die fussballerische Leistung. Selbst nach dem frühen 0-1 folgte die Elf von Petkovic ihrem Gameplan. Nichts schien sie aus Konzept zu bringen. Weder die Provokationen, noch Pfiffe durch die Zuschauer, noch Sascha Ruefer's wirre Phrasen beeindruckte das Nationalteam. Folgerichtig reagierte der Natitrainer auf den Rückstand und brach mit Embolo und Gavranovic zwei offensive Kräfte, die das bisherige laue offensive Lüftchen in einen Föhnsturm verwandelten. Mit Einsatz und Biss drehten die Schweizer das Hochrisikospiel. Für den krönenden Abschluss waren Gavranovic und Shaqiri zuständig. Zuerst der Zuckerpass von Gavra auf Shaqiri, der alle Zähne im Umkreis von 20m mit Karies befallen liess, dann der Spurt über das halbe Feld und der lässige Abschluss ins himmlische Glück von Shaqiri. Weltklasse. Der anschliessende Gruss nach Einsiedeln freute natürlich viele Schwyzer.
Die Nati zeigte Moral, Courage und Können. Es wird Zeit, einen Grossen zu fällen. Wenn nicht an dieser WM, wann dann?

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