Nichts ist vergänglicher als die Zeit. Klingt kitschig, bisweilen philosophisch und vielleicht sogar melancholisch – ist es auch. Und doch beinhaltet jenes Sprichwort einen anständigen Wahrheitsgehalt.
Erst noch eröffnete die französische Nationalmannschaft im
Kick gegen Rumänien ihre heimische EM. Offiziell vier Wochen und 51 Spiele
später – oder gefühlte zwei Wochen für Normalsterbliche.. maximal - fanden sich die Männer von
Deschamps im EM-Final wieder. Der Kreis hatte sich im Saint-Denis geschlossen und
das Kapitel Euro 2016 beendet. Aber alles der Reihe nach.
Die Gruppenphase erreichte den Unterhaltungswert eines
Uwe-Boll- und den Tiefgang eines Michael-Bay-Streifens. Will sagen, wenn sich
rund 2/3 aller Teams für die nächste Runde qualifizieren, fehlen grundsätzlich
Gehässigkeiten, Spektakel, tollkühne Szenen, schöne Tore und UFO-Invasionen. Vielleicht
war das Wetter einfach zu einladend, sodass sich die in Festlaune versetzten
Spieler lieber brüderlich umarmten und sich gegenseitig den Vortritt liessen
anstelle von Krieg auf dem Platz. Prähistorische Wandmalereien prophezeiten
bereits vor unserer Zeit jenen Umstand.
Um beim Fantastischen anzuknüpfen: Meine These, dass das
Jahr 2016 einige Überraschungen bereit hielt, sprich Island EM-Sieger würde,
hat sich natürlich nicht manifestiert. Doch dürfen einzelne kleinere Anomalien
ein grosses Ganzes ergeben. Island spielte munter mit. Ehrlicher, aufrichtiger,
harter und leidenschaftlicher Einsatz versetzten eine ganze Insel in Ekstase
und verzauberten die ganze Welt. Vor dem Turnier als Kanonenfutter
abgestempelt, erspielten sie sich einen Viertelfinalplatz. Dieser sympathischer
Neuling ist eines meiner Highlights an einer sonst (fast) ereignis- und
torarmen EM.
Auch ein weiterer Rookie war nicht als Tourist, sondern zum
Fussballspielen, angereist. Angeführt von Ramsey, Bale und Co erstürmten sich
die Waliser ein Halbfinalticket, wo sie dem späteren Europameister unterlagen.
Auf ihrem Weg schossen sie (mit Ungarn) die meisten Tore in der Vorrunde und
zerlegten Belgien dermassen brutal, dass heute noch der Ausnahmezustand in
Brüssel ausgerufen ist.
Mit der Spielfreude eines Juniors und der Unbekümmertheit
eines vier jährigen Kindes rushten die Waliser nach vorne und schlossen ihren
Exploit fast perfekt ab. Ein weiterer Turnierknüller!
Positiv in Erinnerung bleibt auch die Schirileistung
(abgesehen von Payet’s Attacke auf Ronaldo). Kaum grobe Schnitzer, nur eine
rote Karte (neben zwei Gelb-Roten). Das einzige Mysterium bleibt die Existenz
und Aufgabe der Torrichter. Ein Hauch von Illuminati im Fussball.
Allgemein fehlten für mich aber persönlich einige Zutaten
für ein würziges und rassiges Turnier: epische Schlachten mit Platzverweisen,
strittigen Situationen und hochkochenden Emotionen sah ich im letzten Monat nur
auf Bluray. Auch Tore blieben leider Mangelware. Zum Glück standen auf beiden
Seiten des Platzes jeweils ein Gehäuse. Sonst hätten wir noch weniger zu
Gesicht gekriegt.
… und der
Europameister?
Und dennoch, gerade die Art und Weise, wie Portugal den
Thron bestiegen hat, passt zum ganzen Turnier, entpuppt sich aber als
Feel-Good-Story.
Ein stolzes Völkchen, einst eine mächtige
Seefahrergemeinschaft, dürfen sich die knapp 11 Mio Einwohner heute erneut als
Könige von Europa bezeichnen. Die Portugiesen waren schon immer bekannt für
ihre technischen und spielerischen Fähigkeiten, ihre Leidenschaft für das runde
Leder und für ihren Unterhaltungswert (manche sagen sie besässen den IT-Faktor
oder einfach tschutt Swag).
Seit zwanzig Jahren brillieren Figo, Rui Costa, Maniche,
Deco und Ronaldo auf höchstem Level – ständig im Schatten der Spanier – doch
die ganz grosse Krönung blieb ihnen verwehrt. Ihren Zenit erreichten sie 2004,
just an ihrer Heim-EM. Gegner, Haters und die Holländer wurden damals von einer
kraftvollen und starken Welle aus dem Weg geräumt bis die Griechen im Final dem
Zauber ein Ende setzten. Der Rest ist Geschichte. Sparta fiel nicht.
Seit dem verblassten die Spielernamen auf dem Papier, aber
sportliche Ausrufezeichen setzten sie an der WM 2006 und EM 2012, wo sie
jeweils im Halbfinal scheiterten.
Die einzig beständige Konstante bis heute ist
und war Ronaldo. Der dreifache Fussballer des Jahres sammelte individuelle und
teambasierende Trophäen, Frauenslips und Tore wie kein Zweiter.
Der schöne Fussball blieb unbelohnt. Zeit, die Formel zu
ändern und resultat- und erfolgsorientiert
zu arbeiten. Der alte Fuchs und geniale Taktiker Fernando Santos
verstand diese Umsetzung und kreierte ein brüderliches Mannschaftsgefüge.
So qualifizierte sich Portugal als Gruppendritter und traten
Extraschichten gegen Kroatien, Polen und Frankreich an. Nur 1 Sieg nach 90
Minuten? Ja, aber auch ungeschlagen. Der Auftritt der Seleção Lusa beinhaltete weniger Spektakel, Glamour
und Zauber als vor 10 Jahren, erwies sich schliesslich aber als zielführender.
Dann kam der Gastgeber im Finale. Ronaldo, wessen Schultern
eine gigantische Last zu tragen pflegten, der so oft Wunder bewirken, Spiele
alleine entscheiden, Kranke heilen, die Frauen verstehen oder sein Land zum
ultimativen Coup führen sollte, wurde beinahe die tragische Figur im Endspiel.
Über den ganzen Wettkampf hinweg - trotz beachtlichen Skorerpunkten - unter seinem Wert spielend, der seinem Land den Titel so unglaublich intensiv schenken wollte, schied früh aus.
Der brutale Angriff auf seine Persona blieb ungesühnt. Weder
der Schiri noch Pepe liessen sich was anmerken. Nicht einmal der Torrichter
zuckte mit der Wimper. Die verschworene Einheit der Portugiesen raffte sich auf
und gewann den Titel auch für Ronaldo. Solidarisch, brüderlich, überraschend. Dass
gerade Eder die Franzosen ins Tal Tränen und seine Landsmänner auf Wolke 7 ballerte,
ist die logische Konsequenz.
Der Titel, der Portugal 2004 so verdient gehabt hätte, wurde
leicht im Verzug, am 10. Juli 2016, gewonnen. Das Ende eines Fluches, die
Erlösung, eine Genugtuung für Portugal und die Fussballgötter, 12 Jahre später.
Kritiker meinen, es bestünden gewisse Parallelen zu den Griechen. So what?
Frankreich wurde in Frankreich besiegt. Eine Feel-Good-Story eben.
Ein alter Freud, Jim Gordon, würde es in etwa so ausdrücken:
Portugal ist der Held, der die Europameisterschaft verdient.
Herzliche Gratulation Portugal und wer weiss, vielleicht hören und lesen wir uns wieder in zwei Jahren.
Herzliche Gratulation Portugal und wer weiss, vielleicht hören und lesen wir uns wieder in zwei Jahren.